leidGottfried Wilhelm Leibniz war glaube ich der Erste, der den Begriff Theodizee verwendet hat. Das tut er in seinem Buch „Essais de Théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal„. Der Begriff wird aus den griechischen Wörtern θεός (theós „Gott“) und δίκη (díke „Gerechtigkeit“) gebildet. Die Absicht von Leibniz war, die Aussagen des französischen Philosophs Pierre Bayle zu widerlegen (auf französisch!), der wegen seinem persönlichen Leidensweg behauptete, Gott sei entweder nicht allmächtig oder nicht gut. Das Problem der Theodizee besteht letztendlich in der Frage, wie die Existenz eines liebenden Gottes sich mit der Existenz des Übels oder des Bösen vereinbaren lässt.

A. Die menschliche Antwort

Im Teil A wollen wir uns zunächst mit den verschiedenen Antworten auseinandersetzen, die die Philosophen im Laufe der Geschichte zu dieser Frage gegeben haben. Wer meint, die Bibel hat sowieso die bessere Antwort, kann sofort zum Teil B übergehen. Man kann diese philosophischen Antworten in drei Gruppen zusammenfassen:

  1. Diejenigen wie Leibniz, nennen wir sie Optimisten, die eine Antwort in der Weltordnung und in der Harmonie der Schöpfung finden wollen.
  2. Diejenigen, eher Pessimisten, die vor vollendeten Tatsachen stehen wollen und die Antwort in der Freiheit der Menschen sehen.
  3. Eine dritte Gruppe, die manchmal mit verwirrenden Argumenten versucht, in der Kunst der Dialektik eine Antwort zu finden.
Die Antwort durch die Weltordnung

Hauptcharakteristik dieser Auffassung ist die totale „Harmonie“, die deren Vertreter in Gottes Schöpfung sehen. Die Befürworter dieser Meinung glauben, dass die bestimmte Regelmäßigkeit in der Anordnung von guten und üblen Dingen doch einen Sinn ergibt.

  • Übel als Mangel am Guten

Laut dem mittelalterischen italienischen Theologe Thomas von Aquin ist das Übel nichts anderes als ein Mangel an ontologischem Guten (on als Partizip zu einai „sein“). Es darf aber nicht mit dem Bösen verwechselt werden. Während das Böse ein Mangel an ethischem Gutem ist, ist das physische Übel nur ein seinsmäßiger Mangel, also etwa wie eine Sehschwäche, könnte man sagen. Die Lehre von Thomas von Aquin findet seine Wurzeln u. a. bei Augustinus und Origenes. Für Augustinus zum Beispiel, der zu seiner Zeit die dualistische Philosophie der Manichaäer bekämpfen wollte, ist das Böse in sich nichts: es ist kein Prinzip, es hat keine Substanz; es existiert nur, weil das Gute existiert; es ist Mangel an Gutem. Das Böse findet letztendlich seine Herkunft in der Freiheit, die Gott den Menschen bei der Schöpfung verleiht hat. Thomas von Aquin sieht aber weiter: das Böse kommt nicht daher, dass der Mensch nur begrenzte Fähigkeiten hat, wenn er sich mit Gott vergleicht (so sieht es auch Leibniz), sondern dass es bei ihm einfach an Gutem fehlt. Und woher kommt das? Weil der Mensch aus dem Nichts geschaffen wurde, ist er deswegen fehlbar. Gott kann zwar viel, aber Er kann keine Kreatur schaffen, die von Natur aus unfehlbar wäre.

  • Die beste aller möglichen Welten

Leibniz geht davon aus, dass alles im Universum optimal angeordnet ist. Er wurde von der Gesetzlichkeit imponiert, die man in der Physik feststellen kann. Leibniz war zu seiner Zeit ein Universalgelehrter (zur selben Zeit lebte Isaac Newton). In Leibniz Denken gibt es eine unendliche Anzahl möglicher Welten. Gott, nachdem er alles ausgewogen hat, hat sich für die vollkommenste, in der das Übel den kleinsten Raum hat: „die beste aller möglichen Welten“. Im Grunde ist für ihn jede Form des Übels letztlich notwendig und erklärbar: – Es gibt zum einen das metaphysische Übel (malum metaphysicum). Nach diesem Begriff ist alles Geschaffene notwendig unvollkommen, da es sonst mit Gott identisch wäre, und nur Er ist vollkommen. – Zweitens gibt es auch das physische Übel (malum physicum). Gott hat Schmerz und Leid für notwendig erachtet, da sie vom Schädlichen abhalten und zum Nützlichen drängen. – Drittens findet man auch das moralische Übel (malum morale). Dieses Übel bezeichnet die zur Abwendung von Gott führende Sünde. Voltaire hat diese Auffassung in seinem Buch „Candide“ stark kritisiert. Mit seinem sarkastischen Ton bezeichnet er das Erdbeben von Lissabon, mit seinen fast 100.000 Opfern, als „eine der furchtbarsten Katastrophen in der bestmöglichen Welt“.

  • Abfall der Evolution

Nach dem katholischen Theologen und Wissenschaftler Pierre Teilhard de Chardin ist das Übel nichts anderes als ein Abfall der Evolution. Der Jesuit Teilhard wurde geprägt von großer naturwissenschaftlicher Kenntnis und zugleich von tiefer Frömmigkeit. Er sieht nicht die Schöpfung als etwas „einst“ Abgeschlossenes und seither Fertiges (wie es die biblischen Schöpfungserzählungen nahe zu legen scheinen), sondern als einen bis ans Ende der Zeit fortdauernden Prozess mit noch ungeahnten Ergebnissen (den siebten Tag). Die Auswirkungen dieses Prozesses sind in der physikalisch-biologischen Welt zu sehen, aber auch in der geistigen Welt. Schöpfung und Evolution sind für Teilhard dadurch kein Gegensatz mehr. Neu gedacht hat er auch das Verhältnis von „notwendiger“ Entwicklung und menschlicher Freiheit. Theologischer Anknüpfungspunkt ist ihm dabei die Lehre vom Heiligen Geist (Spiritus Creator), dessen Wirken kein bloß vergangenes ist und der mit der geschöpflichen Freiheit zusammenwirkt.

Die Antwort durch die menschliche Freiheit
  • Der Atheismus

Die atheistische Schlussfolgerung aus der vermeintlich misslungenen Theodizee gewann Ende des 18. Jahrhunderts an Boden. Als nach dem Erdbeben von Lissabon 1755 die optimistische Leibniz’sche Lösung der Theodizee für viele an Plausibilität einbüßte, war es nur noch ein kleiner Schritt, anstatt Gottes Güte gleich Gottes Existenz zu verneinen. Weil es für den Atheismus keinen Gott mehr gibt, ist deshalb die Antwort zu der Theodizeefrage sinnlos. Das Übel ist einfach ein Produkt des Zufalls; es ist einfach vorhanden und man muss damit umgehen. Der Existentialismus von Sartre und Camus ist ein gutes Beispiel für diese Philosophie. Man denke zum Beispiel an den Spruch von Jean-Paul Sartre: Die Existenz geht der Essenz (dem Wesen) voraus. Damit meint er, dass die Bedeutung unseres Daseins sich nicht durch irgendwelche religiöse oder biologische Sinnbestimmung erklären lässt. Nein, jedes menschliche Leben beinhaltet einen Theorieaspekt, der der Existenz nachrangig gebildet wird.

  • Der Deismus

Bei der Beantwortung der Theodizeefrage besteht ein pragmatischer Lösungsansatz darin zu postulieren, dass Gott die Welt mit Entwicklungspotential geschaffen hat und nun nicht mehr in sie eingreift. Denn eine Mitwirkung Gottes würde das Potenzial der Welt und den freien Willen des Menschen stören. Ein Eingreifen Gottes, um Leid zu verhindern, würde die Welt zu seinem Labor und uns zu Experimentobjekten degradieren und insgesamt mehr Schaden als Nutzen bringen. Dieser Ansatz erklärt aber nicht, was Gott mit seiner Schöpfung wirklich bezweckte und macht ihn letztendlich auch zu einem Zauberlehrling.

  • Übel als Folge der Freiheit

Nach Immanuel Kant ist die moralische Weisheit Gottes unbeweisbar. Wir sind zu unwissend, um metaphysische Spekulationen anzustellen. Hier stößt unsere Vernunft an ihre Grenzen (Kant: Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, 1791). Nichtdestotrotz ist der Mensch eine freie Kreatur; wenn er sich nicht konsequent für die Erfüllung seiner Pflicht entscheidet, kann das Übel aus dieser Freiheit entstehen. Weshalb der Mensch geneigt ist, das Böse zu tun, das kann Kant nicht erklären: es bleibt unbegreiflich. Kant setzt eher auf die Sittlichkeit. Hiob ist ein Beispiel von Glauben, das auf der Moralität gegründet ist. Dies ist die echte Art des Glaubens, auf der eine Religion des guten Lebenswandels gründet. Es kommt darauf an, das eigene Unvermögen zu bekennen und aufrichtig zu sein.

  • Gott hat sich zurückgezogen

Dieser Ansatz war schon mit der Idee des Zimzum in der Kabbalah vorhanden. Gott tritt zurück, um der Schöpfung, die nicht vollkommen von Gottes Geist erfüllt ist, Raum zu schaffen. Der protestantischen Pfarrer und Schriftsteller Wilhelm Busch (1897-1966) hat auch beobachtet, dass in der westlichen Welt die Säkularisierung stets voranschreitet. Die Gebote Gottes werden nicht mehr beachtet. Gott respektiert diese scheinbar endgültige Entscheidung und zieht sich weitgehend, aber nicht ganz zurück. Gott weiß nämlich, dass der Mensch dazulernt und zu einem geistig fortgeschritteneren Zeitpunkt aufgrund gereifter Einsicht, dass er Gottes Hilfe braucht, eine andere Entscheidung treffen könnte, die eine vertieftere Wissens- und Verstehenslage beinhalten kann. Diese Ansicht ruht u. a. auf dem Gleichnis des verlorenen Sohnes, wo der Vater seinem jüngsten Sohn die Freiheit lässt, bis dieser den tiefsten Punkt erreicht und zu seinem Vater zurückkehrt. Der Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer treibt solch eine Sicht in einem seiner Briefe auf die Spitze: „Gott lässt sich aus der Welt hinausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns.“ Genauso Emil Brunner, Mitgründer mit Karl Barth der dialektischen Theologie: Brunner sieht in der Entäußerung Jesu den Versuch Gottes, seinen Kreaturen so viel Autonomie wie möglich zu schaffen, damit sie freilich zu seinem Angebot antworten.

  • Gott ist nicht allmächtig: die nach Ausschwitz-Theologie

Aus der Erfahrung persönlichen Leides kommt der Rabbi Harold S. Kushner in seinem Buch „Wenn guten Menschen Böses widerfährt“ zu dem Schluss, dass Gott zwar gut, aber nicht allmächtig sei. Die Frage nach dem „Warum?“ des Leides führe zu nichts, da sie entweder Wut auf sich selbst (Was habe ich getan, dass mir das passiert?) oder auf Gott (Warum lässt Gott das zu?) zur Folge habe und diese Wut verhindere, dass der Mensch Hilfe von anderen Menschen und von Gott annehmen könne. Da Gott durch die Menschen wirke, solle die Frage vielmehr lauten „Wenn mir dieses Leid nun schon einmal passiert ist, wer kann mir helfen?“ Dieser Lösungsansatz ist auch im Rahmen der sog. Theologie nach Auschwitz verbreitet. Die feministische Theologin Dorothee Sölle zeigt, dass durch die Kreuzigung Christi die Ohnmacht Gottes deutlich geworden sei. Von ihr ist der Spruch „Gott hat keine anderen Hände als die unseren“ bekannt geworden. Zugleich wird die besondere Nähe Gottes zu den Menschen in der Passion Christi beschrieben. Gott entäußert sich selbst und unterwirft sich menschlicher Grausamkeit, um zugleich eine Perspektive aufzuweisen, die in die Ewigkeit hineinragt. Diese Ansicht wurde von der Befreiungstheologie vertreten: Gott ist mit den Schwachen, den Leidenden aber er möchte sie dazu führen, sich selbst von jeglicher Knechtschaft zu befreien.

Die Antwort durch die Dialektik

Was ist die Dialektik? Laut Hegel ist es „das treibende Moment des Vernünftigen innerhalb des Verstandesdenkens, durch das sich der Verstand schließlich selbst aufhebt.“

  • Der Dualismus

Für die Dualisten besteht die Realität zwischen zwei Polen: dem Guten und dem Bösen. Dualistische Religionen sind zum Beispiel der Zoroastrismus oder der Gnostizismus. Das Böse sei nicht nur Gott, sondern durch gefallene Engel, den Satan, Demiurgen oder miteinander konkurrierende Weltprinzipien zu erklären. Zarathustra ging davon aus, dass zwei gleich mächtige Urprinzipien die Welt beherrschen: auf der einen Seite das gute, gebende, göttliche Prinzip, auf der anderen Seite das böse, nehmende, widergöttliche. Auf diese Art und Weise der Darstellung wird die Allmacht Gottes relativiert, denn die beiden, voneinander untrennbaren Prinzipien ergeben eine dualistische, Gutes und Böses enthaltende Gottesvorstellung. Ein verwandtes Beispiel (aber nur verwandt!) wäre das Yin-Yang der chinesischen Philosophie, welches die Geschehnisse in der Welt durch dualistische Urprinzipien erklärt.

  • Boehme und Tillich

Laut dem deutschen Theosophen Jakob Böhme, der eine pantheistische Theologie vertrat, sind alle existierende Dinge gleichzeitig Ja und Nein. Der Widerspruch ist auch als notwendiges Moment in allen Erscheinungen der Wirklichkeit vorhanden. Paul Tillich tritt in seine Spuren. Tillich war neben Bultmann und Barth einer der größten Theologen des 20ten Jahrhunderts. Für ihn ist der Mensch begrenzt, weil in ihm das Sein und das Nicht-Sein verknüpft sind. Nur Gott ist das Sein selbst. Der Mensch als ein Existierender ist nicht das, was er essentiell ist und darum sein sollte. Er ist entfremdet (sündhaft) und leidet darunter. Er kann nur am Neu-Sein durch Jesus Christus teilhaben. Nur Jesus verkörpert das wahre Sein (Gott) in seiner Person.

  • Hegel

Für Hegel ist das Übel nur ein notwendiges Durchgangsstadium; es dient der dialektischen Entwicklung der Menschheitsgeschichte. Im Geist des Menschen passiert folgendes: – Der Verstand setzt etwas als seiend. – Die Vernunft erkennt die Einseitigkeit dieser Bestimmung und verneint sie. Es entsteht so ein Widerspruch. – Die Vernunft erkennt in sich selbst die Einheit der widersprüchlichen Bestimmungen und führt alle vorherigen Momente zu einem positiven Resultat zusammen, die in ihr aufgehoben werden. Im Widerspruch zu dem Übel steht Gottes Allgüte, denn nach Hegel kennt Gott bereits den Ausgang der Geschichte und erachtet es nicht für notwendig, regulierend (Leiden vermindernd) einzugreifen.

  • Jürgen Moltmann

Obwohl Moltmann auch zu den „Nach Ausschwitz“-Theologen zählt, gehört sein Ansatz eindeutig zur der dialektischen Theologie. Die Grunderfahrung, die Moltmann zum seinem Glauben führte, war das Gefühl von Verlassenheit. Im Feuersturm über Hamburg (Sommer 1943) fragte er sich, wo Gott steckte. Er stellte sich die Frage wieder, als er sich für das Geschehen von Auschwitz mitverantwortlich fühlte. Trost gab ihm in dieser Situation nur, dass Jesus Christus dieselbe Erfahrung der Gottesverlassenheit gemacht hatte. Von der Gottverlassenheit Jesu her kommt er zu folgenden Hauptaussagen über Gott: – Gott ist leidensfähig, denn sonst wäre die Passionsgeschichte Christi keine Offenbarung Gottes. – Gott liebt seine Kreaturen und die Gerechtigkeit. Deshalb leidet er mit allen Leidenden, weil er an ihrem Schicksal teilnimmt. Aber er leidet anders als sie. Er erleidet nicht das Sterben, er leidet unter dem Tod seines Sohnes. – Nur wenn Gott leidet, kann die Auferstehung Heilsbedeutung für die Welt gewinnen.

  • Karl Barth

Nach Karl Barth gibt es keine Lösung des Theodizee-Problems. Karl Barth bleibt in der Logik des Calvinismus, wenn er sagt, dass wir nicht berechtigt sind, Gott anzuklagen. Wir können nur dialektisch vom Paradoxon reden. Das Böse ist für Barth die „unmögliche Möglichkeit“. Ähnlich äußern sich Theologen von heute, so der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buß: „Ehrliche Theologie gesteht ein, dass es auf die Frage nach dem Sinn des Leidens keine Antwort gibt. Wer sie trotzdem versucht, setzt nur Irrlichter auf.“

B. Die Antwort der Bibel

Wer die Bibel betrachtet, sieht schnell, dass die Erklärungsversuche der drei Systemen, die wir berücksichtigt haben, zahlreiche Schwächen aufweisen: – In dem ersten System wird versucht, die Güte und die Gerechtigkeit Gottes zu vereinbaren. Dadurch sehen die Weisen nicht, so könnte man sie nennen, dass sie unbewusst Gott als Schöpfer des Bösen machen. – In dem zweiten System versuchen Propheten (vielleicht falsche!), die Allmacht Gottes zu vernichten, dadurch dass man aus dem Menschen ganz bewusst eine autonome Kreatur machen möchte, was er nicht ist. – Das dritte System, die Antwort des Priesters, verbindet die Nachteile der beiden Ersten. In Wirklichkeit betont die Bibel, (1) dass das Übel unerträglich ist, (2) dass der Herr souverän ist und, letztens (3), dass in Gott nur Güte ist.

Drei Behauptungen
  • Das Übel ist unerträglich

Die Bibel versucht nie das Übel zu entschuldigen. Nein, das Übel lässt sich in keinsterweise mit der guten Schöpfung Gottes harmonisieren. Manchmal hat man aber den Eindruck, dass Gott sich des Bösen bedient, um seine Ziele zu erreichen. Wir lesen zum Beispiel in Habakuk, wie sehr sich der Prophet empört, wenn er versteht, dass Gott die bösen Babylonier als Werkzeug, um das abtrünniges Volk Israels zu bestrafen:

Deine Augen sind zu rein, als dass du Böses ansehen könntest, und dem Jammer kannst du nicht zusehen! Warum siehst du dann aber den Räubern zu und schweigst, wenn der Gottlose den verschlingt, der gerechter ist als er? Habakuk 1, 13

Die Antwort findet man in dem Aphorismus von Sprüche 16, 4, wo steht:

Der HERR macht alles zu seinem Zweck, auch den Gottlosen für den bösen Tag.

Wir sollten diesen Vers so verstehen, dass Gott trotz der Bosheit des Übeltäters sich in einer für uns unbegreiflichen Weise dessen bedient, um sein Gericht auszuüben. Auch bei der Heilung des Blindgeborenen im Johannesevangelium Kapitel 9 suchen die Jünger ein Erklärung für den Zustand dieses armen Menschen:

Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?

Jesus zeigt eindeutig, dass diese Krankheit mit der Sünde nichts zu tun hat und erbarmt sich des Blinden.

Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. Johannes 9, 3-5

In dem Jesus den Blinden sofort heilt, zeigt er, dass Er den Zustand dieses Menschen für unerträglich hält.

  • Gott ist souverän

Die Bibel widerspricht auch eindeutig die Philosophen, die behaupten, dass Gott sich zurückgezogen hat. Eine zentrale Behauptung dazu ist die des Psalms 103, 19:

Der HERR hat seinen Thron im Himmel errichtet, und sein Reich herrscht über alles.

Der Gott der Bibel unterscheidet sich radikal von den anderen Göttern, die Götze sind, nichts sehen und nichts merken (Jesaja 44, 9). Im Epheserbrief betont Paulus, dass Gott „alles wirkt nach dem Ratschluss seines Willens“ (Epheser 1, 11). Gott hat nicht nur die Menschen „ gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen“, sagt Paulus in seiner Rede zu den Athenern, „Er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen „ (Apostelgeschichte 17, 26). Jesus erzählt seinen Jüngern, dass kein Sperling auf die Erde fällt, ohne dass Gott es vorsieht. Auch die Haare der Jünger sind gezählt. (Matthäus 10, 29-30).

  • Gott ist gut

Die Bibel betrachtet als Lästerung die Behauptung, Gott wäre der Urheber des Bösen. Das Zeugnis, dass Gott vollkommen gut ist, ist eine Konstante in der Bibel. Zum Beispiel in 5 Mose 32, 4:

Seine Werke sind vollkommen; denn alles, was er tut, das ist recht. Treu ist Gott und kein Böses an ihm, gerecht und wahrhaftig ist er.

Im Neuen Testament verwirft Jakobus die Auffassung, dass Gott seine Geschöpfe zum Bösen zwingen würde:

Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. Jakobusbrief 1, 13

Das Übel wird im Reich Gottes abgeschafft

Das Böse soll erst durch das Kommen von Gottes Reich abgeschafft werden; das ist der Sinn der Bitte im Vater Unser: „Dein Reich komme“. Aber gerade da verkompliziert sich das Problem: warum kommt das Reich Gottes nicht schon mit dem ersten Kommen Jesu? Hat Jesus durch seinen Tod am Kreuz nicht die Werke des Teufels zerstört? Warum findet gerade in dem christlichen Zeitalter eine Entfesselung des Bösen statt? Die Behauptungen von Jesus sind trotzdem eindeutig. Das Reich Gottes ist angebrochen:

Wenn ich aber die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.
Matthäus 12, 28

In Lukas 17, 21 ist Jesus noch klarer:

Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Bezüglich des Kommens von Gottes Reich gibt es unterschiedliche Auffassungen:

  • die Dispensationalisten behaupten, dass das Kommen des Reichs verschoben wurden, weil die Israeliten den Messias abgelehnt haben.
  • die liberale Schule (Albert Schweitzer zum Beispiel) meint, dass Jesus in seinem Versuch, das Reich Gottes einzuführen, gescheitert ist.
  • Die reformierte Auffassung ist, dass das Reich Gottes bereits angebrochen ist, aber noch kommen soll.

Von den drei halten wir selbstverständlich die Dritte für die richtige. Nach der Auferstehung Jesu verbreitet sich zwar das Reich Gottes in den Herzen, aber es ist noch nicht für alle sichtbar, dass Jesus wirklich herrscht:

Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. 1 Johannes 3, 2

Vor allem warnt die Bibel vor einer richtigen Entfesselung des Bösen in der Endzeit, kurz vor der Wiederkunft Jesu. Bereits im Alten Testament verkündigt der Prophet Hesekiel, dass nach der Wiedervereinigung des Volkes unter dem einen Hirten, nach ihrer Wiederherstellung in dem Heiligen Land, wird das unzählbare Heer von Gog das Volk Gottes angreifen (Hesekiel 38 – Offenbarung 20). Diese Prophetie sollte nicht rein wörtlich verstanden werden, aber sie wird sich jedenfalls  in der Zeit erfüllen.

Die letzte Frage, die geklärt werden muss, ist folgende: warum lässt Gott auf die endgültige Offenbarung seines Reiches warten?

Karl Barth hat wahrscheinlich keine so schlechte Antwort dazu: Gott möchte nicht, dass die Menschen als Zuschauer da stehen, sondern dass sie sich an seinem Plan beteiligen. Ohne den Glauben, hätte Gott einfach eine vollendete Tatsache aufgezwungen. Das Böse wird zugelassen, damit der Mensch auch entscheiden kann. Und dies wird auch letztendlich von der Schrift unterstützt:

Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass jedermann zur Buße finde. 2 Petrus 3, 9